Das marokkanische Bürstchen

Es war einmal…… im Jahr 1978, um genau zu sein, als dieses wahre Märchen begann.

Um der Bundeswehr zu entgehen, meldete sich mein Mann für den Entwicklungsdienst im Ausland. Wir wurden in Casablanca eingesetzt, der weißen Großstadt an der Atlantikküste Marokkos. Er arbeitete als Schreiner mit leprakranken Jugendlichen, um ihnen Fertigkeiten beizubringen, die sie und ihre Familien später ernähren sollten. Ich war ‚Mädchen für alles‘, denn dem großen Hospital an der Route de Mediouna waren Werkstätten, Klassenzimmer einer Schule, Krankenstationen, Büros, Küchen und Schlafsäle angeschlossen – ein riesiges Gelände, dessen hinterer Teil offiziell gar nicht existierte, wie die Krankheit selbst. Vorne ein öffentliches Krankenhaus für Jedermann, hinten der große, nicht zugängliche Teil, umschlossen von einer hohen Mauer. Für Menschen (leider auch nicht immer) ein Hindernis, für Katzen gar keins – und so hatte sich eine schwangere Katzenmutter im hinteren, ruhigen, wenig frequentierten Teil der Werkstatt, in der mein Mann arbeitete, ein Versteck gesucht, war wahrscheinlich durch ein Loch im Dach hereingekommen.

Zum Glück wurde sie von den Lehrlingen nicht bemerkt, denn wir (Europäer) waren nicht sehr erfolgreich darin, den Einheimischen klar zu machen, dass Tiere Mitgeschöpfe sind und speziell Katzen sehr nützlich sein können, besonders, wenn es von Mäusen, Ratten und Kakerlaken nur so wimmelt. Zum Unglück der Katze wurde sie aber auch von meinem Mann nicht bemerkt – und die Sommerferien standen vor der Tür. Werkstätten und Schulgelände waren verlassen. Zwar waren die Küchen noch geöffnet, denn die Lepra- und Tuberkulosekranken mussten versorgt werden, aber der Katzenmutter muss etwas Schlimmes zugestoßen sein bzw. ihr muss jemand Schlimmes zusgestoßen sein, denn Marokkaner – und ich sage es nur ungern – legen manchmal doch ein sehr grausames Verhalten gegenüber Tieren an den Tag. (Esel werden geschunden, Igel landen in der Suppe und Schildkröten werden als Wurfgeschosse benutzt. Nicht zu vergessen das grausame Schächten natürlich. Es kann unter Umständen sehr lange dauern, bis ein Tier stirbt. Je größer das Tier, um so länger dauert der Todeskampf. Bei einem Kamel bis zu einer halben Stunde.) Tiere als fühlende Lebewesen? Fehlanzeige! – Jedenfalls konnte die Katzenmutter wohl nicht zu ihren Kindern zurückehren.

Als wir aus den sechswöchigen Sommerferien Ende August zurückkamen und mein Mann die Werkstatt inspizierte, bemerkte er, dass der Boden schwarz war. Bald waren es auch seine Beine. Flöhe hatten sich breit gemacht. Auf der Suche nach der Quelle gelangte er schließlich in den hinteren Raum. Als er die Tür öffnete, fand er in der Hitze des marokkanischen Sommers drei bereits halb-verweste, mit Flöhen übersäte Katzenkinder am Boden vor. Nur eins war klug genug gewesen, sich ganz nach oben auf die Regale zu flüchten und so der schwarzen Invasion am Boden zu entkommen. Die Kleine empfing ihn mit einem energischen, lauten „Bäääh!“

Es war nicht so einfach, sie einzufangen. Sie wußte ja nicht, dass ihr geholfen werden sollte. Kratzen, beißen und sich winden konnte sie auch damals schon gut. Nachdem es mehreren blutigen Händen schließlich gelungen war, sie in einen Karton zu stecken, brachte man mir dieses Häufchen Elend mit nach Hause, in unsere winzige Dienstwohnung des Entwicklungsdienstes in der Rue des Flamands, 2. Stock. Armes, kleines, dünnes, graues Kätzchen! Sein Hals war so dünn wie mein Finger, das Dreiecksköpfchen winzig, die Ohren erschienen um so größer, riesig im Vergleich zur gesamten Katze. Das ganze Tierchen voller Flöhe! Ich bereitete ihm ein lauwarmes Bad. Die Kleine dachte wohl, ich wolle sie ertränken und entleerte vor lauter Panik ihren Darm im Wasser. Die Flöhe versuchten sich zu retten, krochen auf die Stirn, in Nase und Ohren. Immerhin fielen diese ganzen Trauben von Flöhen, die unter den Achseln gesessen hatten, von ihr ab und ertranken im Badewasser, das jetzt voller schwarzer Punkte war. Jetzt hieß es nur noch, die restlichen Plagegeister auch noch zu erwischen. Flohspray oder -halsbänder für Katzen? Im Marokko der 1970er Jahre? Keine leicht zu lösende Aufgabe. Nach langer Suche fanden wir einen französischen Supermarkt, der anscheinend einen hauseigenen Kater adoptiert hatte, wohlgenährt, der immer brav ins Abflussrohr am Boden machte, wenn er mal musste, dort, wo die Putzfrauen ihre Wassermassen mit dem Gummischaber hinwischten am Abend. In diesem Supermarkt fanden wir ein Flohhalsband für Hunde. Für große Hunde. Es war ein Mordsding im Verhältnis zum dünnen Hälschen des Katzenkindes. Wir versuchten es, denn eine Flohplage in der Wohnung ist bekanntlich nicht lustig. Dem Kätzchen dieses viel zu große, schwere und breite Halsband um den Hals oder den Körper zu legen war nicht möglich. So packten wir die Mini-Mieze und das Flohband zusammen in einen Karton und schlossen diesen. Eventuell ein traumatisches Erlebnis für das Tierchen, kurzfristig, aber was sollten wir tun?

Nach einer Viertelstunde fing das Kätzchen an durchzudrehen, wie wir glaubten. Es drehte sich im wahrsten Sinne des Wortes, und wir dachten, dass sei jetzt vielleicht sein Ende. Aber als wir den Deckel des Kartons öffneten, sahen wir, dass das Kätzchen vor lauter Freude darüber, dass die Plagegeister von ihm abgefallen waren, Schwänzchenfangen spielte. Miezchen war glücklich und übermütig. Die Flöhe lagen alle tot am Boden des Kartons. Der wurde sogleich entsorgt und Mieze nochmals gebadet. Diesmal krabbelte kein schwarzer Punkt mehr rauf auf den Kopf oder sprang auf meine Hand über, um sich zu retten. Wir hatten es geschafft. Als die Kleine dann frisch gebadet im Handtuch auf meinen Knien lag, ich sie abtrocknete und die marokkanische Abendsonne zur Balkontür hereinschien, vernahm ich ihr erstes, lautes, wohliges Schnurren. Das zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht – und ich sah, dass dieses Kätzchen gar nicht grau war, sondern rötlich, und ein Katzenmädchen. – Ja, rote Katzen können auch weiblich sein!

Dieses Kätzchen war wild, frech, wagemutig, schlau und hatte seinen eigenen Kopf. Aber so muss man wohl sein, wenn man als Straßenkatze überleben will. Schmusen musste es erst noch lernen. Besonders scheu war die Kleine Fremden gegenüber. Kam jemand zu Besuch, stellte sie nicht nur die Rückenhaare auf, sondern alle verfügbaren Körperhaare ringsum, weshalb ein Kollege sie „Brosse de Toilette“, „Klobürste“ nannte. Da sie diese ‚haarsträubende‘ Eigenschaft ihr Leben lang beigehielt, auch das Wilde, Ungestüme, Freche, das Anspringen und am Körper ihrer Menschen hinaufklettern (was sich bei dünner Sommerkleidung besonders gut macht), das Beißen, Fremde anfauchen und eben dieses ständige „Anbürsten“, dabei Querlaufen oder wie ein Zicklein in die Luft springen, nie ablegte, nannten wir sie „Bürstchen.“ Diese kleine Wilde war mutig, übermütig, um genau zu sein, sprang im fünften Stock durch die Luftlöcher in der Wand unserer Wohnung (am Blvd. Gandhi) über Eck hinüber zu den Nachbarn und wieder zurück. Mir blieb vor Schreck das Herz stehen. Hasendraht musste her, was zwar die Katze von ihren halsbrecherischen Ausflügen abhielt, aber nicht das Ungeziefer, hereinzufliegen. Bürstchen war ein guter Jäger. Man sollte nicht meinen, dass Kakerlaken bis in den fünften Stock hinauffliegen können. Doch, sie können! Morgens fanden wir manchmal nur noch die harten Flügel dieser Krabbler, den weichen ‚Kern‘ hatte Bürstchen sich einverleibt, sozusagen als Nachspeise zum Abendessen. (Geckos konnte ich zum Glück immer vor ihrem Zugriff retten.) Natürlich wollte sie für ihren Jagderfolg gelobt werden. Dieses Kopfkraulen erwiderte sie meistens mit einem Nasenbiss. Für sie war das wahrscheinlich wie zärtliches Knabbern an einem menschlichen, hervorstehenden Körperteil, für uns eher unangenehm. Auch liebte sie es, vor lauter Übermut meinen Arm zu umklammern und herzhaft hineinzubeißen. Vor ihren plötzlichen Attacken war man nie sicher. Zum Glück kam es nie zu einer Blutvergiftung durch die spitzen Katzenzähne, aber manchmal sah ich schon recht ‚bunt‘ aus durch das rote Mercurochrome, das Marokkaner zum Desinfizieren und Verschließen einer Wunde nahmen.

Da es keine Katzenstreu gab, holten wir feinen Sand vom Strand in Ain Diab. Der klebte zwischen den Katzenbällchen. Was tat unser kluges Bürstchen also? Füße waschen, und zwar im Wasser des kleinen Trinknapfs, mit allen Vieren gleichzeitig, was sie wie eine Flitzebogenkatze aussehen ließ. Zu putzig! Zutraulich und frei fühlte sie sich nur in Gesellschaft ihrer eigenen Menschen. Waren wir allein, lag sie in meinem Arm wie ein Baby auf dem Rücken, ließ sich Kopf, Hals, Brust und sogar den Bauch kraulen, schnurrte glücklich und tretelte dabei wohlig mit ihren Pfötchen. Kamen aber Fremde zur Tür herein, verschwand sie unter der blauen Wolldecke der marokkanischen Sitzbank im Wohnzimmer. Der Kollege, der sie „Brosse de Toilette“ getauft hatte, wusste das und tat absichtlich so, als wolle er sich auf sie setzen, ließ sich in ihre Richtung fallen, was sie verständlicherweise in Panik fliehen ließ. Jedesmal, wenn sie seine Cowboystiefel die Treppe heraufkommen hörte (die er aus Angst vor Skorpionen trug), geriet sie in Panik, versteckte sich oder bürstete ihn an und biss. Hatte dieses Tier es nicht schon schwer genug gehabt? War es nicht sowieso schon verstört, da es mit ansehen musste, wie seine Geschwister starben?

Auch hatte dieser Mann die dumme Angewohnheit, sie anzulocken, um sie dann mit einem lauten „Buhh!“ abzuschrecken. Das bedeutete jedesmal einen Rückschlag meiner Bemühungen, diesem Kätzchen Liebe, Geborgenheit und Vertrauen zu vermitteln. Er machte meine kleinen Fortschritte durch solche Aktionen schlagartig wieder zunichte. „Was willst du denn?“ meinte er, “ diese Katze hat doch sowieso schon einen SSA hingelegt, einen sensationellen, sozialen Aufstieg.“ Leider war er ein direkter (deutscher) Arbeitskollege meines Mannes, der sich nicht abwimmeln ließ. Seine Freundin, eine marokkanische Lehrerin und Kollegin, meinte, wir sollten dieses fauchende, kratzbürstige Biest wieder rausschmeißen, denn nicht nur sein Verhalten wäre unmöglich, sondern es könnte uns auch Lepra übertragen, da diese Katze ja aus dem Hospital kam. Auch mein Mann, eher ein Hundemensch, war einer Katze gegenüber eher negativ eingestellt, so nach dem Motto: „Eine Katze kommt mir nicht ins Haus! Du darfst sie aufpäppeln, aber danach kommt sie wieder raus auf die Straße!“ – Oh, Gott! – Stattdessen erkundigte ich mich beim deutschen Konsulat, welche Impfungen und Papiere nötig waren, um unser Bürstchen nach Deutschland mitzunehmen, wenn unser Vertrag ausliefe. Es gab weiß Gott schon genug halbverhungerte Tiere da draußen, die im Winter regelmäßig von der Stadtverwaltung vergiftet wurden, sobald die Touristen weg waren, und dann einen langsamen, qualvollen Tod starben, innerlich verbluteten. Ich ‚besorgte‘ sogar die nötige Bestätigung, dass es in unserer Wohngegend keine Tollwut gab (obwohl es sie gab). Mit Bakschisch geht alles in diesem Land.

Wir – Friesen übrigens – flogen von Casablanca über Faro nach Frankfurt und weiter nach Bremen. Bürstchen immer mit im Passagierraum, in einem eigens für diesen Zweck auf dem Souk erhandelten Weidenkorb. Die Flugbegleiter waren ganz angetan von ihr. So eine hübsche, rote Katze! Die Maschine hatte Verspätung. Die Sicherheitsleute in Bremen wollten nur noch eins: endlich Feierabend haben. Sie mussten auf die Maschine aus Frankfurt warten. Mein Bruder, der uns abholte, auch. Wir hatten unseren halben Hausstand dabei, mehrere Rollwagen, voll beladen. Als der (ältere) Security-Mann uns auf ihn zukommen sah, grummelte er: „Wo kommen SIE denn her?“ „Aus Marokko. Wir haben da gewohnt und gearbeitet. Jetzt ziehen wir wieder nach Deutschland zurück.“ „Un wat is dat da fürn Viech?“ „Unsere Katze.“ „Und? Isse gesund?“ „Ist sie.“ „Gehn Se durch! Gehn Se durch!“ winkte er uns entnervt durch die Schleuse. Er hatte einfach keine Lust mehr, irgendwelche Sachen, Tiere oder Papiere zu checken. Er wollte nur noch nach Hause. Wir auch.

Zuhause (bei meinem Bruder) hielt seine Frau eine Schale mit Milch für die Katze bereit. Ich sagte, dass sie davon Durchfall bekäme. Beleidigt schüttete meine Schwägerin die Milch sogleich in den Ausguss, was mich entsetzte, hatte ich doch die armen Menschen und Tiere vor Augen, die im Müll nach Essen suchten, zuerst die (feigen) Hunde, vertrieben durch (kämpferische) Katzen, diese wiederum weggescheucht von Menschen, die den Müll nach Eßbarem durchwühlten. (So geht es mir auch heute noch, wenn ich Verschwendung sehe. Diese Bilder bekommt man nie wieder aus dem Kopf. Kulturschock nennt man das wohl. Auch, wenn man unsere reich gefüllten Regale in den Supermärkten sieht mit einer ganzen Kühltheke nur gefüllt mit Joghurts, wo es in Marokko nur eine einzie Sorte gab, ungekühlt. Überhaupt erlebt man in Marokko in zwei Jahren Dinge, die man in Deutschland nicht in zwanzig Jahren erlebt. – Aber das sind andere Geschichten.) „Diese Katze trabt wie ein Pferd durch den Flur,“ beschwerte sich meine Schwägerin über das durch den mit Teppich ausgelegten Korridor flitzende Mini-Kätzchen in der Etage oben drüber. Ganz im Gegensatz zu meinem Bruder, mochte seine Frau Tiere noch nie leiden. Aber lange musste sie uns ja nicht ertragen. Mein Mann fand Arbeit in Rüsselsheim, ich einen Studienplatz in Wiesbaden.

Wie dem auch sei, auf diese Weise kam das rote, marokkanische Bürstchen zu uns. Ich hatte auch als Kind schon immer Katzen (und andere Tiere), diese war meine erste eigene. Ihr folgten andere, alles Fundtiere, aber dieser kleine Wildfang war etwas Besonderes: lebhaft, mutig, vorwitzig, schmusig zu den eigenen Menschen, wild, scheu, kratzbürstig oder sogar ‚zupackend‘ Fremden gegenüber. Vom lieben Schnurrer bis zur Furie war alles drin. Kam besagter Kollege zu Besuch, verzog sie sich auf den hohen Wohnzimmerschrank und bleib dort, bis er wieder weg war – und wenn es drei Tage waren. Nur nachts traute sie sich hervor, wenn dieser Fiesling schlief. Bei ‚ihren‘ Menschen war sie verspielt, liebte es, fangen zu spielen mit uns. Jagen und gejagt werden. Waden fangen. Wilde Spiele machten ihr Spaß. Ein kleines Energiebündel. Sie war intelligent, lernte durch Zusehen und machte es nach. Klinken anspringen, Türen öffnen und das Spielzeug, das auf den glatten marokkanischen Fliesen unter der Tür hindurchgerutscht war, selbst zurückholen, war da noch eine der leichteren Übungen. Sie war gesprächig und sprachbegabt, benutzte circa zwanzig verschiedene Laute, um zu erreichen, was sie wollte. Sie redete viel, vielleicht auch deshalb, weil ich mit ihr von Anfang an immer geredet hatte, und sie wollte diese ‚Gespräche‘ erwidern, mit ihren Menschen kommunizieren. Sie verstand einzelne Wörter, z. B. ‚Küche‘, und lief schon einmal dorthin voraus. Sie stibitzte auch gern Gummibänder vom Haken. Man musste aufpassen, dass sie sie nicht fraß. Sie war aufgeweckt und neugierig, behielt auch ihre waghalsigen Ausflüge bei, wanderte im 9. Stock von Balkon zu Balkon. (Mein Mann lehnte ein Netz ab.) Alleinsein war nicht so ihr Ding. Sie wartete dann immer sehnsüchtig auf dem Kratzbaum am Fenster auf die Rückkehr ihrer Lieblingsmenschen. Wenn sie mich vom Bus kommen sah, lief sie sofort freudig zur Wohnungstür, um mich zu begrüßen. Danach war erstmal ausgiebiges Schmusen angesagt.

Da sie Fremde ablehnte, gestaltete sich der Umgang mit Katzensittern schwierig. (Aber die waren selbst auch schwierig.) Auch in einer Katzenpension fühlte sie sich nicht sehr wohl. Aber wir (Zweibeiner) wollten unsere marokkanischen Kontakte nicht abbrechen lassen und auch sehen, wie sich unsere Projekte entwickelt hatten. Ich sah sogar einige der Katzen wieder, die ich immer mit Wasser versorgt hatte, heimlich, nachts vorm Haus, was nicht ungefährlich war als blonde, junge, langhaarige, blauäugige Frau. Manchmal hüllte ich meinen Körper in eine Djellaba, ein bodenlanges Kapuzengewand, um mich sicherer zu fühlen. Ich hatte immer eine Dose und eine volle Wasserflasche zum Nachfüllen dabei. Die scheuen Katzen pumpten sich voll. Der Durst war größer als die Angst vor mir. Immerhin war diese Lösung besser, als aus lauter Verzweiflung aus Putzeimern zu trinken oder in die Pools der Franzosenbungalows zu springen (und nicht wieder herauszufinden). Gedankenlose Gärtner schütteten Wasserzugänge (für Schläuche) mit Erde zu, übereifrige Hausmeister deckten Wasseranschlüsse mit dicken Steinen ab, damit kein Wasser unkontrolliert auslaufen konnte. Das bedeutete immer weniger Wasserquellen für Tiere. – Sollten Sie Urlaub machen in heißen Ländern: Wasser ist das, was die Tiere am nötigsten brauchen, und bitte kein salziges oder scharfes Essen vom Mittagstisch verteilen, wie manche Touristen das tun. Das verschlimmert die Situation. – Sah ich beim Wasserverteilen Männer auf mich zukommen, versteckte ich mich. Kaum hatte ich mich weggedreht, goß jemand die Dose aus und nahm sie mit. Die Einheimischen waren scharf auf die Dose, auf das Metall. Dasselbe mit Gläsern, besonders, wenn noch ein Schraubverschluss darauf war. Auch mit Papier. Alles konnte auf dem Souk noch zu Geld gemacht werden. Arme Menschen. Noch ärmere Tiere, besonders Hunde, die als unrein gelten. Sie werden absichtlich überfahren, durch Stacheldrahtzäune gejagt, damit sie sich den Bauch aufreißen oder man lässt sie einfach verhungern. (Katzen können immerhin noch Mäuse fangen, Hunde nicht.) Die, die überleben, werden im Winter vergiftet. Marokkanische Hunde sind feige, machen einen Riesenbogen um jede Katze, die ihnen begegnet. Sie werden schon oft Bekanntschaft mit deren Krallen gemacht haben. Kratzbürsten eben! Wie mein Bürstchen, das wirklich unwahrscheinlich großes Glück hatte, von uns gerettet zu werden. – Am liebsten hätte ich sie ALLE mitgenommen, meine nächtlichen ‚Pflegekinder.‘

Irene Ritter

Mainz

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